Tagungsdokumentation

„ImPuls für die Zukunft“ war das Motto der Tagung, die vom 5. bis 7. April 2019 im Forum 3 und im Hospitalhof in Stuttgart stattfand und von mehr als 600 Menschen besucht wurde. Anlass war, dass Rudolf Steiner vor 100 Jahren mit der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus an die Öffentlichkeit getreten war.

Ulrich Morgenthaler eröffnete die Tagung und moderierte sie im Weiteren souverän. Es folgten Grußworte des Oberbürgermeisters der Stadt Stuttgart Fritz Kuhn, der den positiven Einfluss der Anthroposophen in seiner Stadt würdigte. Schon früh hatte er in Achberg erste Kontakte mit anthroposophischen Ansätzen gehabt. Insbesondere durch Joseph Beuys hatte in der Gründungsphase der Partei der Grünen von der Dreigliederung gehört.

Danach sprachen Henning Kullak-Ublick (Sprecher des Bundes der Freien Waldorfschulen) und Christoph Strawe. Kullack-Ublick stellte eingangs die Frage: Ist die Dreigliederungsbewegung gescheitert? Und er antwortete gleich selbst: nein, keineswegs. Rudolf Steiners Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus wird immer lebendiger und wächst gesundend in immer mehr Lebensgebiete hinein. Natürlich ist vieles noch nicht erreicht und die Aufgaben, die noch zu bewältigen sind, sind enorm, doch für ein pessimistisches Urteil eines Scheiterns ist kein Anlass. Ein unvoreingenommener Besucher dieser Tagung muss Kullak-Ublick recht geben: die Dreigliederung ist schon in vielen Bereichen fruchtbar geworden: weltweit sind mittlerweile eine Vielzahl von Initiativen entstanden, die ihre entscheidenden Impulse aus dieser Idee Steiners erhalten haben. Kullak-Ublick bemerkte auch, dass „Mutter und Tochter“ sich gegenseitig zum 100. Geburtstag gratulieren können.

Die Waldorfschulen wurden von dem Unternehmer Emil Molt ebenfalls vor 100 Jahren begründet, um mit diesem Modell einer freien Schule mit besonderer Pädagogik auch einen Beitrag für die Verwirklichung eines freien Bildungswesens im Sinne der sozialen Dreigliederung zu leisten. Zurzeit wächst weltweit die Zahl der Waldorfschulen (gegenwärtig gibt es ca. 1050), besonders in China und Lateinamerika ist das Interesse sehr groß. Über die Jahre sind zahlreiche Unternehmen entstanden, in welchen nicht der Profit an erster Stelle steht, sondern ein solidarisches Zusammenarbeiten, Unternehmen, die über Stiftungen ihre Gewinne wiederum der Gesellschaft zugutekommen lassen. Natürlich sind dies erst bescheidene Anfänge, die aber Vorbildcharakter haben und sich in Zukunft einmal vervielfältigen lassen. Heilend wirkt der Impuls der Dreigliederung auch da, wo einem landwirtschaftlichen Betrieb die Umstellung auf eine biologische oder biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ermöglicht wurde. Neue Eigentumsformen lösen die Böden aus dem Kreislauf der Spekulation und können so den Betreibern anschließend zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden.

Als nächster Redner vertrat Walter Kugler den aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig verhinderten Albert Schmelzer. In seinem Beitrag zur Dreigliederungsbewegung 1919 verwies Walter Kugler auf den Artikel „Astral-Marx“ aus dem Kursbuch 55 vom Jahre 1979. Dort schreibt Joseph Huber, dass es mit den Anthroposophen wie im Märchen vom Igel und dem Hasen sei: Die linken Hasen rennen sich die Hacken ab, und wenn sie ankommen, stehe da ein anthroposophischer Igel und sage: „Ätsch, ich bin schon da“: hier sei ein klassenloses Krankenhaus, dort eine eigene Genossenschaftsbank, da seien selbstverwaltete Kindergärten und Schulen, Verlage, alternative Heil- und Therapieeinrichtungen, biodynamische Landwirtschaftsbetriebe, etc. Der Artikel endet mit der Bemerkung: „Wo die heutige Linke mit lautem Getöse relativ wenig erreicht, schaffen Anthroposophen im Stillen viel.“

Verschiedene Phasen der Dreigliederung

 

Gerald Häfner (Sozialwissenschaftliche Sektion am Goetheanum) skizzierte die vielen Probleme unserer Gesellschaft, die einer Antwort harren. Am Beispiel der Havarie des Öltankers „Prestige“ zeigte er die katastrophalen Konsequenzen, wenn nur aus Profitgier gehandelt wird und keiner bereit ist die Verantwortung zu übernehmen. Trotz aller Gefahren wurde dem lecken Schiff im November 2002 der Zugang zu einem spanischen Hafen verweigert. Das Schiff wurde aus den Hoheitsgewässern ins offene Meer geschleppt, wo es zerbrach. 64.000 Tonnen schmutzigstes Schweröl liefen aus und verursachten so eine der schlimmsten Umweltkatastrophen. Verantwortungslos ist auch die Privatisierung – insbesondere im Gesundheitswesen - mit dem Ziel Anlegern eine bessere Kapitalverwertung zu erlauben. Häfner schilderte, dass in der „Sozialwissenschaftlichen Sektion“ an einem Gesetzvorschlag für ein neues Eigentumsrecht gearbeitet wird, mit dem Ziel, Geld und Macht in den Unternehmen zu trennen: Nicht mehr das Geld oder die Gene sollen entscheiden wer eine Unternehmung führt, sondern die Fähigkeiten. Auch an neuen Rechtsformen für das Eigentum an Grund und Boden wird gearbeitet. Die Aktualität dieser Ansätze wurden auch unterstrichen durch die Proteste gegen unbezahlbare Mietwohnungen, die zur gleichen Zeit in Stuttgart stattfanden. In München fließt z.B. schon 48% der Mieten in Zins und Spekulation. Die Tatsache, dass 87% der investierten Gelder von Versicherungen und Pensionskassen kommen, zeigt, dass wir alle aufgefordert sind zu überlegen, was mit unserem Geld passiert. Die CoOpera Sammelstiftung PUK in der Schweiz ist ein Beispiel dafür, dass eine nachhaltige Form der Altersvorsorge möglich ist.

Gerald Häfner unterschied verschiedene Phasen der bisherigen Entwicklung der Dreigliederung. Zuerst wurde sie mehr gedacht und theoretisch entwickelt. Erst in den siebziger und achtziger Jahren erwachte ein breiteres Gefühl für die Notwendigkeit auch praktisch zu wirken. Diverse Wirtschaftsbetriebe entstanden, GLS Bank und GLS Treuhand wurden zum Katalysator vieler Gründungen im Bereich der Ökologiebewegung, die damit zunehmend an Fahrt aufnahm. Jetzt sei noch stärker das Willenselement gefragt, um Veränderungen zu erreichen; als Beispiel dafür nannte er Greta Thunberg. Dass die Dreigliederung eine Utopie sei, dass sie „eingeführt“ werden müsse, sei ein Missverständnis. Steiner habe damit nur die Begriffe geliefert, mit denen wir unsere soziale Wirklichkeit erkennen und verändern können. Erkenntnis der Wirklichkeit sei die Voraussetzung, um sachgemäß zu handeln.

Workshops und ‚Markt der Möglichkeiten‘

 

Wie lebendig in vielen Bereichen die Idee der Dreigliederung als Verständnisgrundlage und als praktischer Impuls zum Tragen kommt, konnte am Samstagmorgen erfahren werden. In 24 Workshops luden engagierte Dreigliederer zum Dialog ein. Das Spektrum war sehr breit: „Bodenreform“, „Grundeinkommen“, „Eigenverantwortung und Selbstverwaltung, “50 Jahre Forum3 - Erfahrungen mit der Dreigliederung in einer Institution", „Demokratische Stimme der Jugend“ „Assoziatives Wirtschaften in der Praxis“ – um nur einige zu nennen. Auf dem dem ‚Markt der Möglichkeiten‘ am Samstagnachmittag konnten sich in 26 Stuhlkreisen in vier Runden 52 Dreigliederungsinitiativen vorstellen und mit den Teilnehmenden ins Gespräch kommen. Der Zeitplan gab jedem Teilnehmenden die Möglichkeiten, vier Initiativen näher kennenzulernen. Das zu ermöglichen, war eine weitere beachtliche organisatorische Leistung des Vorbereitungsteams (Sebastian Knust vom CampusA, Ingrid Lotze und Ulrich Morgenthaler vom Forum 3, Alexander Schwedeler, Christoph Strawe vom Institut für soziale Gegenwartsfragen, Alfred Wohlfeil (Die Christengemeinschaft), Gerald Häfner, Andreas Kehl (Tagungsbüro), Marco Bindelli und Lena Sutor-Wernich. Die Genannten waren dann selbst überrascht, wie reibungslos die vielen Gespräche im großen Saal des Hospitalhofs abliefen.

Zur künstlerischen Gestaltung der Tagung trugen Marco Bindelli vom Freien Jugendseminar und Lena Sutor-Wernich mit ihrer wunderbaren Gesangsstimme bei.

Am Samstagabend ging Nicanor Perlas (Träger des alternativen Nobelpreises), der aus den Philippinen angereist war, auf die rasante Entwicklung der AI (künstlichen Intelligenz) zu immer wirkungsmächtigeren Formen einer Super Intelligenz ein. Sie wird verstärkt mit selbstprogrammierenden Algorithmen arbeiten. Computer lernen, mit anderen Computern zu kommunizieren. Die Anpassung der Programme an die Kommunikationserfordernisse kann, wie man festgestellt hat, zu einem Code führen, den dann nur noch die Maschinen, nicht die Menschen verstehen. Solche Entwicklungen können nach Meinung mancher Experten schon in 10 Jahren eintreten.

Es tauchen beängstigende Szenarien auf: Die Maschinen ergreifen die Macht und wenn die Menschen ihnen nicht zu Willen sind, könnte es dazu kommen, dass die Maschinen die Menschen liquidieren. Ein beherztes Eingreifen der Menschen sei nötig, um diese Entwicklung zu verhindern. Es gebe immer mehr Wissenschaftler, die ihr naturwissenschaftliches Weltbild mit einem spirituellen Verständnis der Evolution zu versöhnen suchen. Der Vormarsch der AI erfordere außer zivilgesellschaftlichem Engagement eine Steigerung spiritueller Aktivität, – und eine Verbindung mit den geistigen Mächten, die das wahrhaft Menschliche hüten.

Perlas, der in seinem Heimatland selbst Bürgermeister berät, war ganz angetan von Stuttgarts Oberbürgermeister: Am liebsten wolle er ihn gleich am Montag besuchen, um den positiven Grußworten des Politikers gemeinsame Taten folgen zu lassen.

Um die Eigentumsfrage ging es in einem der drei Foren, die am Sonntagmorgen stattfanden. Wie Eigentum an Produktionsmittel in Fluss kommen kann, sei eine der wichtigsten Fragen zukünftiger Sozialgestaltung, so Udo Herrmannstorfer. Nicht das Geld und nicht der Erbstrom („ich habe das Unternehmen gemacht!“) sollten über die Unternehmensnachfolge entscheiden. Wie schon erwähnt, hat Gerald Häfner (zusammen mit Armin Steuernagel (u.a.)) einen Gesetzvorschlag entwickelt, der eine Rechtsform schaffen soll, durch die sich selbst gehörende Unternehmen – Unternehmen in Verantwortungseigentum – bilden können. Zur Förderung dieses Prozesses wurde die „Purpose Stiftung“ begründet.

Nein, die Dreigliederung ist nicht gescheitert. Wir dürfen allerdings nicht nur bei der Begrifflichkeit, die Steiner zum Verständnis des sozialen Organismus geliefert hat, stehenbleiben, sondern müssen immer wach die Entwicklungen um uns begleiten. Wenn die Dreigliederung sich in den Tatsachen vollzieht, wie Steiner sagte, gilt es die Prozesse auch wahrzunehmen und dort helfend einzugreifen, selbstlos, an der Sache orientiert und ohne den Hochmut, schon zu wissen, wie es geht.

Bernhard Steiner

12. April 2019